Johann Wolfgang von Goethe (* 28. August 1749 in Frankfurt am Main als Johann Wolfgang Goethe; † 22. März 1832 in Weimar, geadelt 1782) gilt als einer der bedeutendsten Repräsentanten deutschsprachiger Dichtung.

Goethe stammte aus einer angesehenen bürgerlichen Familie; sein Großvater mütterlicherseits war als Stadtschultheiß höchster Justizbeamter der Stadt Frankfurt, sein Vater Doktor der Rechte und kaiserlicher Rat. Er und seine Schwester Cornelia erfuhren eine aufwendige Ausbildung durch Hauslehrer. Dem Wunsch seines Vaters folgend studierte Goethe in Straßburg und Leipzig Rechtswissenschaft und war danach als Advokat in Wetzlar und Frankfurt tätig. Gleichzeitig folgte er seiner Neigung zur Dichtkunst, mit dem Drama Götz von Berlichingen erzielte er einen frühen Erfolg und Anerkennung in der literarischen Welt.

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Mingnon

 

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,

Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl? Dahin!
Dahin möcht' ich mit dir,
O mein Geliebter, ziehn.

 

Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan?
Kennst du es wohl? Dahin!
Dahin möcht' ich mit dir,
O mein Beschützer, ziehn.

 

Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier such im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl? Dahin!
Dahin geht unser Weg!
O Vater, laß uns ziehn!


An den Mond


Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz,
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz;


Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.


Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh- und trüber Zeit,
Wandle zwischen Freud' und Schmerz
In der Einsamkeit.


Fließe, fließe, lieber Fluß!
Nimmer werd' ich froh;
So verrauschte Scherz und Kuß
Und die Treue so.


Ich besaß es doch einmal,
was so köstlich ist!
Daß man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergißt!



Rausche, Fluß, das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu!


Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.


Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Haß verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,


Was, von Menschen nicht gewußt
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.