Zizewitz                               Der Zwerg aus dem Schattenwald

1. Ein Zwerg

 

  Es war einmal vor langer langer Zeit…

  Denn so fangen schöne Märchen immer an, weil man sonst irgendwie enttäuscht ist und denkt: „Das soll ein schönes Märchen werden?

  Also fangen wir noch mal an. Es war einmal vor langer, langer, laaaanger Zeit. Da lebte ganz allein in einem großen Wald ein kleiner Zwerg namens Zizewitz. Na ja eigentlich war er gar nicht so allein, aber davon später.

  Zizewitz lebte nicht nur in dem großen, grünen und fast undurchdringlichen Wald, nein er arbeitete auch dort und sorgte für ihn.

  Nun wollen wir uns diesen kleinen Bewohner und sein Umfeld etwas näher betrachten. Zizewitz war eigentlich eher einer von den typischen Zwergen ohne jeglichen Schnickschnack. So wie du und ich uns Zwerge eben vorstellen. Seine Füße steckten in braunen Schuhen die vorne spitz zuliefen und leicht nach oben gebogen waren. Seine stämmigen Beinchen wurden von blauen Flanellhosen bedeckt und die grüne Jacke mit den selbstgeschnitzten Holzknöpfen, war dem Guten über die Jahre am Bauch etwas eng geworden. Das lag hauptsächlich daran, dass Zizewitz es liebte, lecker zu speisen. Doch auch hiervon später mehr.

  Jetzt – was darf denn nun nicht noch fehlen? Ach ja – natürlich: Seine rote Mütze!

  Viele Leute erzählten sich, dass Zwerge schon mit ihren Mützen geboren würden, was natürlich völliger und unglaublicher Unsinn ist.

  Zwerge werden schon mit ihrem Bart geboren, aber doch nicht mit ihren Mützen, und das verbreitete Zizewitz auch bei Jedem und gerne, wenn er es hören wollte – oder auch nicht.

Ja so war er unser Zizewitz. Im Herzen eine Kämpfernatur.

  Aber kommen wir noch mal auf seine Mütze zu sprechen. Diese rote Mütze war Zizewitzens ganzer Stolz. Seine Mutter, "Gott hab sie selig", denn sie war schon bereits seit etlichen Jahren tot, hatte sie für ihn gestrickt, noch bevor er geboren wurde. Sie stickte in gekonnter Handarbeit ein geschwungenes „Z“ auf die Vorderseite der Mütze und versah ihren Rand mit einem spinnengewebten Goldfaden. Beim Sticken in Gedanken versunken, dachte sie sich: „Eine schönere Mütze wird keiner tragen als mein geliebtes Söhnchen Zizewitz.“ Sobald er das Licht der Welt erblickte, setzte seine Mutter ihm das Mützchen auf und sagte liebevoll:

  »So mein kleiner Zeide jetzt wird dein Köpfchen nie mehr frieren.« (Zeide kommt aus dem Hebräischen, heißt so viel wie Großväterchen und da unsere Zwerge schon mit einem Bart auf die Welt kommen, könnte man manchmal schon meinen, dass auch das Alter, ihnen mit in die Wiege gelegt worden ist.)

  Zizewitzens Mutter nannte ihren Sohn oft Zeide und sie war damals auch die Einzige, die das durfte! In seinen Flegeljahren verwehrte er sich ganz vehement dagegen, so genannt zu werden, aber später , nun ja, viel viel später, nämlich, so circa in den letzten sechzig Jahren, war Zizewitz der Gedanke gekommen, dass Zeide Zizewitz doch keine so schlechte Anrede für ihn sei. Er schmunzelte bei dem Gedanken an die vielen Male in denen seine Mutter ihn auf unterschiedlichste Weise mit diesem Kosenamen gerufen hatte. Daher redete man, wenn man heute über ihn sprach nur vom Zeide Zizewitz.

  Unser Herr Zwerg ging also nie ohne sein Markenzeichen vor die Tür. Selbst wenn er übereilt die Stube verließ war sein vorletzter Handgriff zum Haken neben der Tür, an dem seine Mütze hing.

  Nicht selten geschah es, dass er es vergaß, sie vor dem Schlafengehen abzunehmen. Erst wenn er sich in seinem Bett unruhig auf die andere Seite warf und ihm der Zipfel seiner Mütze mit dem Hasenfellbömmelchen an der Nase kitzelte, wurde ihm bewusst, dass er schon wieder mal mit ihr zu Bett gegangen war. Dann grinste er in sich hinein und sagte leise vor sich hin grummelnd:

  »Tz, tz, tz, tz, meine liebe Mütze, du bist ganz schön anhänglich geworden mit den Jahren.«

  Worauf er seinen Kopf bedächtig vom Kissen anhob, die Mütze langsam herunter zog, sie sorgfältig auf sein Nachtkästel legte und verblüfft in Gedanken feststellte: „Ist aber doch jetzt ganz schön kalt auf meiner Pläte.

Tja, auch Zwerge sind eben nicht vor Haarausfall gefeit.

  Lasst mich überlegen ob ich etwas Wichtiges bei unserem Herrn Zizewitz vergessen habe? Hmmm, ich würde sagen, erst mal nicht, denn ansonsten beginnt hier nämlich unsere Geschichte.

2. Der Anfang

 

  Es ist ein kühler Frühlingsmorgen, der Wald erwacht und man hört das Rascheln winziger Mäusepfötchen, die unter Reisig und Blättern in der Nähe von Zizewitz Behausung nach ihrem Frühstück suchen. Der Wind weht lind durch die Wipfel der Bäume und die Vögel beginnen ihr allmorgendliches Pfeifkonzert.

  Ein aufgeregter Hase hält am Rande der großen Lichtung Ausschau nach Gefahren. Prüfend hebt er seine Nase in die Luft, spitzt die Löffel und überlegt zitternd, ob er es wagen kann den kurzen Weg geradeaus über die Lichtung zu rennen um auf der anderen Seite im Unterholz zu verschwinden. Heute Morgen gab es noch keinen Greifvogelalarm von seinen Brüdern, so spurtet er kurz entschlossen rasend schnell los und prescht in wildem Zick-Zack über die Lichtung, die sich nun immer mehr mit hellem Sonnenlicht füllt.

  Wie sich zeigt, hat er Glück, der König der Lüfte scheint heute Morgen an einer anderen Stelle seine Kreise zu ziehen. „Vielleicht fliegt er über dem See", so denkt der flüchtende Rammler, „dann müssen sich die Fische heute ganz schön in acht nehmen, ihre Flossen anlegen und den dunklen feuchten Tiefen länger als sonst ihren Besuch abstatten, bevor sie zum Luft holen wieder aufsteigen können.

  Hasen sind mittlerweile recht eigenwillige und tiefsinnige Geschöpfe, einige von ihnen geben sich sogar der Poesie hin. Ihre blumige Sprach- und Denkweise rührt wohl daher, dass sich die Ernährungseigenarten der Langohren, über die Generationen hier im Schattenwald, sehr auf die blütenreichen Gewächse dieser Region konzentriert haben. Auch sind sie schwer von ihre einmal gefassten Meinung abzubringen und mit ihnen diskutieren, ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. So berichtete es Zizewitz, als er einmal mit einem befreundeten Zwerg aus dem Nachbarwald im "Sugar Maple Pub" bei einem Gläschen Schreckenschnaps, über die Eigenheiten seiner Heimat sprach. Übrigens brennen die hiesigen Heuschrecken den besten Schnaps, den kundige Zungen jemals schmecken durften.

 

  Und da verschwindet unser Hase auch schon auf der anderen Seite im Gebüsch zwischen zwei hohen alten Ahornbäumen.

  Es ist wieder ruhig auf der Lichtung, doch was heißt ruhig? Denn schon - kommen die vom Volk der Sammler und machen sich an den eben aufgehenden Blüten der Blumen zu schaffen. In Kürze wird die Lichtung vor Summen, Schwirren und munterem Frühlingsgeplapper nur so explodieren. Lassen wir also die Lichtung „Lichtung“ sein und kehren zurück zu unserem Zwerg.

  Zizewitz hat gerade seine Morgentoilette beendet. Da es noch früh im Jahr ist, sammelt sich in dem Ausläufer der großen Baumwurzel, die um Zizewitzens Höhleneingang verläuft, der Morgentau. Auf Grund dieser natürlich bäumischen Auffangschale hat er in den kühleren Monaten immer frisches Wasser im Haus.

  Jedoch, wenn der Sommer in vollem Gange ist, bleibt die wässrige Annehmlichkeit leider aus und Zizewitz fährt mit Pansy einmal in der Woche zum See und füllt sich dort seine Wasserkrüge.   

  Zizewitz hat für Pansy extra ein Geschirr gebaut, dass sich genau ihrem Körperbau anpasst und das sie sich dann immer aus Zuneigung und Dankbarkeit zu unserem Zwerg für kurze Zeit von ihm anlegen lässt. 

3. Die Ricke

 

  Nun will ich euch nicht vorenthalten wer Pansy überhaupt ist. Pansy ist eine junge hübsche Ricke, die vor einigen Jahren mit ihrer Familie aus dem Roteibenwald  hierher in den Schattenwald übergesiedelt ist. Im Roteibenwald trieben immer mehr Wolfsrudel ihr Unwesen und so beschloss Pansys Familie, diese feindlich gewordene Gegen zu verlassen.

  Eine liebgewordene Heimat aufzugeben ist nie sehr leicht, aber die Wahl am Leben zu bleiben oder dem sicheren Tod ins Auge zu sehen - schon.

  Der Schattenwald ist eine ruhige friedliche Gegen und das nicht zuletzt, da sie von einem Zwerg beschützt wird. Nicht viele Wälder können von sich behaupten einen Zwerg zu beheimaten, denn die meisten Zwerge hausen tatsächlich, und hier stimmen die alten Legenden, in den Bergen. Tief in den Felsen altehrwürdiger Höhenzüge üben sie ihr handwerkliches Können aus, aber sie haben es sich zu Eigen gemacht dies im Verborgenen zu tun. Und dabei wollen wir es auch belassen, denn in unserer Geschichte geht es nicht um irgendeine Abstammungslehre, sondern um unseren Herrn Zizewitz, der im Laufe der Handlung noch eine überaus wichtige Mission zu erfüllen hat.

  Im Schattenwald war das Leben angenehm und bald vergaßen Pansy und ihre Familie die Gefahren in denen sie sich noch vor kurzem befunden hatten. Besonders Pansy genoss die Ruhe unter den großen alten Bäumen die im Wind oft miteinander wisperten. Pansy hörte genau zu wenn zu den stürmischen Jahreszeiten die Baumkronengesänge erklangen. Auch die Schattenspiele der „Tag und Nacht Grenze“ auf der großen Lichtung liebte sie. Dann versteckte sie sich im Schatten der Bäume und sprang verwegen den Sonnenstrahlen davon.

 Jedoch bei einem ihrer unbeschwerten Ausflüge jagte sie eines Tages einem herrlich bunten Schwalbenschwanz nach und geriet dabei immer tiefer auf die dunkle Seite des Waldes. In diesem Teil des Waldes wirkten die Schatten dräuend und die Bäume standen so dicht, dass das Licht es schwer hatte den Boden zu finden. Dabei achtete Pansy nicht mehr auf ihren Weg, die Magie des lieblichen Tieres und das lustige Flattern seiner Flügel schlugen das Reh in seinen Bann. Sie hatte den Übergang in den Tannenwald nicht bemerkt und sie erkannte erst wo sie sich befand, als sie den Schmetterling in der aufkommenden Dunkelheit kaum mehr sehen konnte. Der bunte flirrende Fleck vor ihren Augen wurde immer kleiner und schon bald hatte sich der Schmetterling Pansys Blicken ganz entzogen und war verschwunden. Suchend sah sie sich um und hoffte, seine Schönheit wieder zu erblicken, aber das geflügelte Wesen kam nicht zurück. Da empfand Pansy erst die schwer anmutende Dunkelheit die sich anfühlte wie ein ledernes Halsband, das man zu eng um ihren Hals gelegt hatte. Sie stand zwischen dicht wachsenden hohen Tannen, die bedrohlich ihre tiefen Zweige nach ihr ausstreckten, als wollten sie sie einfangen und mit ihren Nadeln nach den empfindlichen Stellen ihres Körpers stechen. Ein eisiger Wind pfiff durch den immer dunkler werdenden Wald. Er trug den Geruch von kalter, nasser Erde mit sich und auch noch etwas anderes, das Pansy aber nicht einordnen konnte.

  Sie spürte Angst in sich aufsteigen, aufgeregt bockte sie mit der Vorderläufen hoch und stieß dabei mit ihrem Kopf in tiefhängende Tannenzweige an denen dicke Zapfen hingen, die vor Harz nur so trieften. Das feucht klebrige Harz der Zapfen ran wie dicker zäher Honig an ihren Ohren hinab und verklebte die zarten Fellbüschel die sich dort zum Schutz befanden. Sie schüttelte wild den Kopf und versuchte das widerliche Zeug am Stamm eines Baumes abzuwischen, doch sie konnte sich nicht davon befreien. Eigentlich wurde es eher schlimmer, denn zu allem Unglück haftete jetzt auch noch Stück Baumrinde an ihrem Kopf und eins ihrer harzigen Ohren war umgeknickt, klebte an ihrer Wange fest und verschloss ihren Gehörgang. Panik ergriff sie, denn nun konnte sie auf einem Ohr nicht mehr richtig hören und ihre Sinne waren völlig verwirrt. Voller Angst dachte sie:

  „Wenn jetzt ein Wolf kommt bin ich verloren, oder ein Bär fällt mich an, oder ein schuppiger grüner Drache, wie der von dem mir Tante Thea mal erzählt hat.

  Und dann flüchtete sie blitzartig und von verzweifelter Furcht getrieben einfach drauf los. Sie achtete nicht mehr auf den Weg und hatte völlig die Orientierung verloren. Wie von einer Meute wilder Wölfe gehetzt, rannte sie bald hierhin und bald dorthin. Sie suchte einen Weg aus den dunklen schwarzen Schatten der Tannen, sie hielt nach dem tröstlichen Licht des mit Helligkeit durchfluteten Laubwaldes Ausschau. Doch nirgends kam ihr etwas bekannt vor, so hasstete Pansy immer weiter bis sie einfach nicht mehr konnte. Außer Atem blieb sie stehen und sah sich suchend um. Da knallte plötzlich ein donnernder Schuss durch den Wald, dass mussten Jäger sein, jetzt war sie verloren! Panisch hüpfte sie erneut aus dem Stand in die Höhe und hetzte wieder über beängstigend wirkende dunkle Pfade. Immer noch befand sie sich im Nadelwald, ihre Nüstern nahmen den modrigen Geruch verrottender Borke und totem Holz wahr. Von den weise wispernden Laubbäumen, von denen Pansy sonst immer so schützend umgeben war, sah sie keine Spur. Wie sehnte sie sich jetzt nach dem weichen Laub unter ihren Hufen und den frischen grünen Blättern ihrer Äste, die sie zärtlich streiften, wenn sie unter ihnen dahin schlich. Ihre Sinne gaukelten ihr etwas vor, als sie den vermeintlichen Duft der Erlen einatmete, unter denen sie mit ihrer Familie lebte. Ihre Familie - was würde sie darum geben ihre Familie noch einmal zu sehen. Dann wurde sie langsamer und lähmende Mutlosigkeit ergriff von ihr Besitz.

  Da knallte ein weiterer schallender Schuss durch die Stille des Waldes und das Unterholz schien neben ihr zu vibrieren. Sie hörte ein abscheuliches Grunzen. Wie versteinert stand Pansy da und konnte sich nicht bewegen. Ihre tierischen Sinne waren ausgeschaltet, als hätte Jemand ihr Denken zum Stillstand gebracht und sie in ein Vakuum versetzt, das keine Bewegung und keine Geräusche zuließ. Sie spürte nur das starke Zitterten ihrer Beine und sie wurde sich einer Unfähigkeit bewusst, die sie nicht reagieren ließ.

Zitternd stand sie da während die unheimlichen Geräusche um sie herum immer lauter wurden.

4. Torc Boar

 

  Da plötzlich raste nur knapp zwei Meter entfernt ein geifernder riesiger Keiler an ihr vorbei. Pansy blieb fast das Herz stehen vor Angst, als das mächtige Tier an ihr vorbei preschte. Doch das Glück war auf ihrer Seite, er schien sie nicht bemerkt zu haben, nur staubtrockene Erde stob auf als er schwer keuchend an ihr vorbeihastet. Nur Sekunden später vernahm Pansy noch das leiser werdende schwere Atmen des sich immer weiter entfernenden Wildschweines. In der Ferne hörte sie die Jäger, sie kamen immer näher und Pansy wusste, dass es ihnen egal sein würde, ob sie ein Wildschwein oder ein Reh vor ihre Flinte bekamen. Hauptsache die Jäger konnten ein Wild erlegen und gute Beute machen! Da erklang schallend ein Jagdhorn und das brach Pansys Bann der Starre. Ohne weiter zu überlegen fegte sie hinter dem Schwein her. Sie hoffte, dass wenigstens der Keiler wusste, in welche Richtung er laufen musste, um den Jägern zu entkommen und in den sicheren Teil des Schattenwaldes zu gelangen. Ein dritter Schuss hallte durch den Wald, auf den kurze Zeit später ein Halali folgte. Pansy kannte diese Tonfolge und blieb schwer atmend, aber erleichtert stehen. Die Jäger hatten bekommen was sie wollten, irgendein armes Tier war ihnen zu Opfer gefallen, für heute war sie sicher.

  Und da, sie konnte es kaum glauben, denn sie hatte die richtige Entscheidung getroffen als sie dem Keiler folgte. Sie stand an der Grenze zum Laubwald, dort wurde es heller, sie trabte erleichtert vorwärts, jetzt war sie wirklich in Sicherheit.

  Doch weit gefehlt, das Reh musste erkennen wie trügerisch angenommene Sicherheit sein kann, denn da hörte Pansy hinter sich ein übelgelauntes wütendes Grunzen. Furchtsam drehte sie den Kopf und warf einen Blick über ihre Schulter. Hundertfünfzig Kilo zorniges Keilerlebendgewicht starrten sie aus rotgerändert schwarzen Wildschweinaugen an. Der Keiler scharrte mit den Hufen und vermittelte ihr durch sein Verhalten seine totbringenden Absichten. Nichts würde ihn aufhalten.

  Nun war ihr Tod doch besiegelt, dessen war sie sich untrüglich im Klaren. Trotz dieser unerschütterlichen Gewissheit, war ihr Lebenserhaltungstrieb stärker, denn sie lief los und rannte einmal mehr um ihr Leben. Sie jagte auf das Licht zu und schlug dabei riskante Haken um den Keiler zu verwirren. Er verfolgte sie und in ihrem offenen Ohr grollte deutlich sein grässliches Schnauben. Egal welche schlauen Manöver sie auch lief um ihn abzuschütteln, er blieb ihr auf den Fersen.   

  Schließlich hatte er Pansy in die Enge getrieben. Sie stand jetzt in einer tiefen Senke des Waldes, die von hohen Eichen gesäumt war. Ihr Herz schlug schnell und laut, sie war total erschöpft und als sie auf der anderen Seite der Senke zum Sprung nach oben ansetzten wollte, versagten die Muskeln ihre Hinterläufe und verweigerten ihr jeglichen Dienst. Sie hatte nicht mehr genug Kraft den Hang im Sprung zu überwinden. Schwankend drehte sie sich um und sah wie der Keiler ihr gegenüber, den Weg zwischen den knorrigen Baumwurzeln, in die Senke herunter kam. Hier konnte sie ihm nicht mehr entwischen. Sie gab auf.

  Völlig geschwächt brach sie in sich zusammen und erwartete ihren Tod. Der massige Körper des Borstenviehs kam immer näher, schon hatte er die Mitte der Senke erreicht, er riss das Maul auf und stieß einen urgewaltigen Schrei aus. Sein heißer Atem hinterließ graue Schwaden in der Frühlingsluft. Dann fletschte er seine abscheulichen Hauer, scharrte wie vorhin mit den Hufen und setzte zum tödlichen Sprung an.

  Doch wunderbarer Weise kam alles anders als Pansy es erwartete. Denn in diesem grauenhaften Moment, stürmte der Bewohner der Senke in dieses schreckliche Szenario und dem angreifenden Keiler flog in letzter Sekunde ein dicker Stein an den Kopf.

  Völlig verstört hielt das wütende Tier inne und drehte sein verzerrtes Gesicht in die Richtung aus der das Geschoss gekommen sein musste.

   Die Zeit schien für einen kurzen Augenblick eine Pause zu machen und erlaubte es dem Geschehen tief durchzuatmen. Sekunden erfuhren ein Dehnung und man hatte den Eindruck, dass ein Wassertropften die Oberflächen später als sonst erreichen würde, um beim Auftreffen auf die sonst so starre Fläche seine von ihm herbeigesehnte Krone zu erzeugen.

  Pansy öffnete vorsichtig ein Auge um zu erspähen warum sie noch lebte und was sie sah war wirklich unglaublich.

5. Das Geschenk

 

  Ein kleiner Mann mit einem langen weißen Bart stand aufrecht mit einer Schleuder in der Hand vor dem gefährlichen Keiler und rief mit markerschütternder Stimme in der Sprache des Waldes:

  »Stopp, halte ein«! schrie Zizewitz eindringlich, dann senkte er langsam die Arme und ließ die Schleuder fallen, in der sich zur Vorsicht noch ein zweiter Stein befand. Später musste Zizewitz zugeben, dass das ein sehr riskantes Unterfangen gewesen war, doch man musste Vertrauen haben in das was man tat. Weiter sprach er beruhigend auf das Wildschwein ein:

  »Torc Boar.« Der Zwerg ehrte das Tier nun mit seinem wirklichen Namen und senkte dabei leicht den Kopf. Jedoch den Blick aus seinen Augenwinkeln hielt er fest auf den Keiler gerichtet. Alsdann griff er in die Tasche seiner grünen Jacke und schloss die Hand um die Lavendelblüten, die er eilig hinein gesteckt hatte, bevor er seine Mütze und die Schleuder ergriff und aus der Höhle stürmte. Jetzt sprach er vorsichtig weiter mit dem immer noch deutlich erregten Geschöpf:

  »Ich weiß, Ihr seid sehr aufgebracht, aber lasst mich Euch etwas schenken.«

  Während er diese Worte sprach holte Zizewitz mit einer fließenden Bewegung den Lavendel hervor, verbeugte sich kurz etwas tiefer um seine Ehrerbietung zu zeigen und als er sich wieder aufrichtete, schleuderte er mit einer weit ausholenden Bewegung seines Armes, den Lavendel in einem breitgefächerten Halbkreis vor die Hufe des Tieres.

  Der Keiler war überrascht ob der Hoheitsbekundung des Zwerges, verwirrt über die Darbietung eines Geschenkes und abgelenkt durch das forsche Auftreten dieses greisen kleinen Kerls. Bereits als er sich ganz zu Zizewitz umdrehte, stieg ihm der betörende und beruhigende Duft des ausgestreuten Lavendels in seine empfindlichen Nüstern. Je tiefer und schneller das Wildschwein einatmete, umso rascher tat der Duft des Krautes seine Wirkung. Man konnte geradezu sehen, wie das mächtige Tier sich beruhigte. Einige Augenblicke später war die Mordlust aus seinen Augen verschwunden, nun wirkten sie wieder dunkel und strahlend wie die glänzenden Knöpfe auf Zizewitzens guter brauner Ausgehjacke. Der Keiler stand nun nicht mehr unter dem elektrisierenden Strom der Verfolgung, dem er für heute viel zu lange ausgesetzt war. Ihm war das „Halali“ völlig entgangen. Der Keiler hatte die Angst vor seinem eigenen Tod, das Adrenalin der Hatz und den Fluchtgedanken umgepolt, kanalisiert und auf das Reh übertragen, so wurde der Gejagte zum Jäger.

  Das Auftreten unseres Herrn Zwerges, seine Hoheitsbekundung, sowie der Schrei in der Sprache des Waldes ließen endlich das Bewusstwerden der Realität und der Unwirklichkeit dieser Szene in dem Tier zu. Ein innerer Schalter im Kopf des Keiler legte sich um und er wurde wieder zu dem der er war.

  Denn er war der Herrscher des Schattenwaldes und eigentlich war er ein guter Herrscher, jedoch auch ein guter Herrscher erlebt zuweilen schlimme Tage.

 Jetzt atmete er ruhiger und eine Art Vorfreude auf ein zu erwartendes Geschenk, hatte in ihm die Oberhand gewonnen.

  „Ja, ja die feine Seide der Neugier,“ dachte Zizewitz, „was ist sie doch für eine gute Verbündete, wenn sie zart ihre silbrigen Fäden wie ein Netz auswirft und verwirrte Sinne kurzerhand gefangen nimmt.

  Nun setzte sich der Herrscher des Schattenwaldes behäbig auf seine Hinterläufe, legte den Kopf leicht schief und sprach mit schwerer sonorer Stimme, als ob nie etwas gewesen wäre:

  »Nun gut Herr Zwerg, du sprachst von einem Geschenk, was ist es, das du mir verehren willst?«

  Zizewitz fiel ein Granitblock vom Herzen. Die Gefahr war wirklich ausgestanden. Der Keiler erwähnte nicht mal den Stein, mit dem Zizewitz ihn am Kopf getroffen hatte.

  »Haben Sie einen Augenblick Geduld Torc Boar, ich eile schnell ins Haus und hole es.«

  Während er sich umdrehte und seine Schritte in Richtung seiner Höhle lenkte rief er dem Tier zu:

  »Ihr werdet begeistert sein!«

  »Das hoffe ich für dich«, kam die erhabene Antwort, »sonst überlege ich mir noch mal, ob ich dich in Zukunft verschone, wenn mich eine Jagdlust überkommt.«

  Zizewitz verstand, der Keiler musste sein Gesicht wahren, deshalb beließ er es bei diesem Schlagabtausch und ging durch die Tür seiner Höhle, um das vermeintliche Geschenk zu holen.

  Einige Sekunden später kam er mit zwei kleinen Säcken wieder nach draußen, trat respektvoll vor und sagte feierlich:

  »Hier, seht, diese Trüffel habe ich heute Morgen frisch aus dem Wald geholt und der andere Sack enthält Kartoffeln aus eigener Ernte. Ich verehre Sie Euch und danke Euch für Euern Besuch.«

  Dann band Zizewitz die beiden Säcke mit einem Stück Leinenseil aneinander und hielt sie dem Keiler hin. Dieser erhob sich, diesmal in geneigter Haltung, als Zeichen seiner Dankbarkeit. Torc Boar nahm vorsichtig, mit leicht geöffneter Schnauze, die Säcke mit den Köstlichkeiten entgegen. Dann nickte er dem Zwerg zu und senkte den Kopf weit bis zur Erde. Dem Keiler war klar, was der Zwerg hier für ihn tat.

  Danach drehte er sich zu der jungen Ricke und sah, wie das Reh erschrocken zusammenzuckte. Entschuldigend und mit traurigem Blick auf Pansy gerichtet, wiegte er sein Haupt leicht hin und her, dann wandte er sich vollends um und trabte den Weg zurück den er gekommen war. Nach wenigen Sekunden, verschwand er aus dem Blickfeld der beiden zurückbleibenden Gestalten, die deutlich mitgenommenen dreinschauten.

6. Stiefmütterchen

 

  »Zizewitz lies mit einem erleichterten Stöhnen die Schultern sinken, fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und sagte leise zu sich selbst:

  »So dann wollen wir doch mal schauen, wen wir da haben.«

 

Hier gehts bald weiter...