Briefchen vom 07.03.2018
Briefchen vom 07.03.2018

Versuch einer Lebensbeschreibung

Angefangen von den Vorkriegszeiten (2.Weltkrieg) bis zum Eintritt des Rentenalters und darüber hinaus.

Von Helga Kaufmann geborene Jacobs
(Nur auf Rechtschreibung von Karin und Erika geprüft. Originaltext Helga Kaufmann)

Helga Kaufmann
Helga Kaufmann

Der Anfang

 Im Jahre 1932, als ich geboren wurde, herrschten in Deutschland keineswegs ruhige Verhältnisse auf politischer und auch auf wirtschaftlicher Ebene, obwohl Stresemann 1926 der halbe Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, waren bald schon andere Einflüsse spürbar. Gerechter Weise ist zu vermerken, dass die Menschen froh waren, nicht schon wieder in Kriegsgeschehen verwickelt zu werden und hofften auf friedliche und normale Lebensverhältnisse.

 

  Ich hatte ein schönes Leben als Kind, zunächst noch ohne Geschwister. Meine ersten Erinnerungen gehen zurück bis zum Alter von zweieinhalb bis drei Jahren, als Mutti mit mir das Abendgebet sprach. Bald aber konnte ich es selbst sagen und Mutti mir dann mit einem Kuss Gute Nacht sagte.

 

Mutti

  An Liebe und Geborgenheit hat es mir nie gefehlt, insbesondere von Mutti, Vater war mit Liebesbezeichnungen mehr als zurückhaltend, da ihm von seinem Elternhaus deratiges nie zuteil wurde. Aber gut, damit konnte ich leben, wir hatten ja Mutti!

  Leider habe ich auch von ihr niemals den ganzen Umfang ihres Kinderdaseins erfahren, da es ihr vielleicht zu weh tat, weil sie ja selbst schon so früh ihre eigene Mutter verloren hatte.

  Muttis Vater heiratete dann wieder und Mutti kam zur Hauswirtschaftsausbildung in die Nähe von Solingen, wo sie sich, wie sie mir später erzählte, sehr wohl gefühlt und viel gelernt hatte.

 

  Es lebte noch ein Bruder von Mutti, aber mit ihm bestand lange Zeit keine Verbindung. Als ihr Vater dann verstarb, behielt sie die Wohnung in der sie lebten für sich.

 

  Bei irgendeinem Tanzfest lernte sie dann Vater kennen, der sie dann auch nie mehr los ließ. Leider weiß ich auch nicht, wo die Hochzeit gefeiert wurde, ich nehme aber an, in genau dieser Wohnung.

 

Herta Jacobs geborene Schultes
Herta Jacobs geborene Schultes

   Zwei Jahre später kam ich dann zur Welt und es begann für mich eine wunderschöne Kinderzeit. Besonders gern saß ich bei schönem Wetter im Lenkradkorb des Fahrrades von Vater, von dem aus ich alles ringsum übersehen konnte. Mutti fuhr mit ihrem Rad hinter uns her. Nach einer Weile machten wir aber Pause und ließen uns die leckeren Sachen aus Muttis Korb schmecken.

   Als ich dann ein wenig älter war, bekam ich einen Roller, mit dem ich versuchte, einige Kunststücke den älteren Kindern nachzumachen.

   So verging die Zeit, bis zum Eintritt in die Grundschule, die gottlob ganz in der Nähe unserer Straße war, denn von aufregendem Autoverkehr konnte damals keine Rede sein. Ich ging gern in die Schule und bekam auch gute Noten, sodass ich von der Lehrerschaft, als ich zehn Jahre alt war, für den Besuch der "Mittleren, Höheren Schule" vorgeschlagen wurde, die inzwischen durch Reichsbeschluss kostenfrei absolviert werden konnte. Diese Möglichkeit nahmen meine Eltern für mich gern wahr, zumal sie selbst diesen Vorteil nicht hatten. 

 

 Schulzeit und Kriegszeit

   Als 1939 die allgemeine Mobilmachung, einhergehend mit der Kriegserklärung erfolgte, merkten wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts von einer Veränderung, aber bald schon wurden Lebensmittelkarten ausgegeben, unterschiedlich für Erwachsene, Kinder oder Kleinkinder. Nur mit diesen Karten konnte man einkaufen, sofern dasjenige, was auf den einzelnen Abschnitten stand, in den Geschäften auch vorrätig war. In den ersten Jahren der Rationierung war der Mangel auf den Märkten nicht so spürbar, zumal wir einen Garten besaßen, in welchem wir vieles anpflanzen konnten. Sämtliche Blumen mussten weichen, Bohnen, Erbsen und Gemüse waren jetzt wichtiger. Zusätzlich baute Vater einen Hühnerstall und wir hatten immer frische Eier.

 

  Mit sehr großer Freude und trotz Krieg, kam im Dezember 1941 mein liebes Schwesterlein zur Welt. Ich durfte für sie den Namen aussuchen. Und ich wählte den Namen nach dem Lied: ...Ich wünsch mir eine kleine Ursula, mit blauen Augen, blondem Haar...! Es dauerte mir fast zu lange, bis sie etwas größer sein würde, damit ich mit ihr spielen konnte.

 

  Im Frühjahr 1942 ging ich dann in die neue Schule, es war eine reine Mädchenschule. Mit der Straßenbahn fuhr ich nach Elberfeld, ca. 30 Minuten und musste deshalb früher aus dem Haus. Unsere Lehrerin, Fräulein R. war sehr streng und überzeugte Anhängerin des herrschenden Regimes. Daher lautete ihr Morgengruß nicht –Guten Morgen-, sondern: Heil H…, den wir täglich lautstark bestätigen mussten. Trotzdem ging ich gern in diese Schule, aber im Frühjahr 1942 sah die Welt für mich wieder anders aus.

 Infolge der stärker werdenden Luftangriffe auf die deutschen Industriegebiete sollten alle Mädchen dieser Schule evakuiert werden, das hieß für uns:

  Fern von daheim, weg von Eltern und Geschwistern, reisen in ein unbekanntes Land. Rückfragen der Eltern bei der Schulleitung ergaben: „Wer nicht mitfährt, muss die Schule verlassen und zurück zur Grundschule“.Unsere Mädels fahren ins Allgäu, ohne Luftangriffe!!!

  Also bissen wir in den sogenannten „sauren Apfel“ und machten uns an die Vorbereitungen zur Abreise. Der Termin dazu rückte immer näher und desto trauriger wurden unsere Eltern. Sie brachten mich aber pünktlich zum Termin zum Bahnhof.

 

Fortsetzung Schulzeit und Ausbildung

  Der Zug fuhr durch den Abend und die Nacht, bis wir bei Tageslicht in der Station Oberstdorf ankamen. Am Bahnhof standen mehrere Busse zum Weitertransport. Die Schülerinnen wurden auf die entsprechenden Fahrzeuge verteilt, unsere Klassen 1a und 1b bekamen den Bus mit der Aufschrift MITTELBERG.

  Nach ca. einer halbstündigen Fahrt waren wir am Ziel. Wir sahen drei saubere, leere Häuser, auf die wir uns nach Belieben verteilen konnten. Die Zimmer hatten Stockbetten, um die etwas gekämpft wurde, aber bald hatten sich alle verteilt und danach wurde zum Essen ins Haupthaus gerufen.

  Es begannen schöne, abwechslungsreiche Tage, in denen man das mehr oder weniger vorhandene Heimweh unterdrücken konnte. Der Unterricht ging soweit als möglich weiter, aber es fehlten einige Schulutensilien. Nachmittags machten wir Bergspaziergänge und holten unsere Brote gemeinsam beim Bäcker in der nächsten Ortschaft. Leider waren diese schönen Wochen nur von kurzer Dauer, denn uns wurde eröffnet, dass Schüler aus dem Ruhrgebiet ausgebombt worden seien und dringend aus den Gefahrenzonen heraus müssten. Dazu schien unser schönes Mittelberg gerade recht.

  Also, Kommando zurück! Wohin fahren wir? Rudolstadt in Thüringen! Keiner war begeistert, weil uns eröffnet wurde, dass wir auf Familien verteilt werden sollten.

  Im Ort angekommen, standen die Menschen schon in einem kleinen Saal, um uns zu begutachten. Sehr schnell hatte jede anwesende Familie ihre Schülerin gefunden und trat mit ihr den Heimweg an. Was ich nicht wusste war, dass in diesem Haus noch drei halbwüchsige Jungen und eine Großmutter lebten. Trotzdem ging der Schulunterricht dort weiter. Nachmittags ging ich mit meinen Freundinnen Schwimmen oder Boot fahren, wenn die Schulaufgaben erledigt waren.

  Nach wenigen Wochen wurde mir klar, dass die Buben mich als Eindringling betrachteten und anfingen mich zu ärgern. Wegen ihres anderen Dialektes verstand ich sie aber nicht und machte weiter meine Schularbeit. Dann verloren sie die Geduld und griffen zum Gartenschlauch, drehten den Wasserhahn auf und spritzten mich und mein Schulheft nass, sodass die Buchstaben und das ganze Heft nass und unleserlich waren. Meine Beschwerde bei Mutter und Großmutter erbrachte nur die Bemerkung, dass doch alles wieder trocknen würde. Ab sofort schrieb ich Brandbriefe nach Hause.

 

Alles hat einmal ein Ende

  Mit meinen beiden Freundinnen Christa und Anneliese ging ich öfter zum Schwimmen in das nicht weit entfernte Strandbad. Auf dem Nachhauseweg bogen beide in verschiedene Richtungen ab, ich musste noch ein Stück geradeaus gehen. Als ich etwas gelangweilt die Straße entlang sah, bemerkte ich zwei Personen mit Kinderwagen, die in meine Richtung gingen. Es dauerte nur Sekunden, bis ich begriff wer da auf mich zukam. Es waren meine Eltern, mit meiner kleinen Schwester. Ich rannte um mein Leben und war überglücklich sie gesund zu sehen. Noch am gleichen Tag wurde die Schulleitung verständigt, dass ich wieder mit nach Hause gehen durfte, was dem Direktor gar nicht gefiel, aber das war uns gleichgültig.

  Nach mehrmaligem Umsteigen, in verschiedene Züge, kamen wir gut daheim an. Sobald als möglich erkundigten wir uns bei der Schule, ob dort der Unterricht noch möglich wäre. Dabei stellte es sich heraus, dass nicht die ganze Schülerzahl evakuiert worden war, sondern nur die unteren Klassen. Es hatte für die ersten Klassen ein Zusammenschluss von jeweils a und b stattgefunden, um den Unterricht weiterführen zu können. Ich war sehr froh darüber.

  Es war nun fast Winter 1942 und auch das Jahr 1943 war für uns noch verhältnismäßig ruhig, bis dann auch hier die Luftangriffe immer mehr zunahmen. Unsere Eltern ließen mich nicht gern weiter in die Schule fahren, aber ich wollte es.     

  Unser jüngerer Lehrkörper war bereits einberufen worden, sodass wir nun von älteren Lehrern und Lehrerinnen unterrichtet wurden. Es dauerte nicht lange, so wurde auch die Schule bombardiert, sodass dort kein Unterricht mehr stattfinden konnte.

  Für die Bevölkerung wurden sehr schnell die Zustände so dramatisch, dass man Angst haben musste, aus dem Haus zu gehen und man bei Fliegeralarm keine Gelegenheit mehr hatte, in irgendeinen Luftschutzkeller gehen zu können. An Schulunterricht war bei diesen Gefahren nicht zu denken.

  Jede Nacht mussten wir drei oder viermal in den Luftschutzkeller, der gottlob dicke Mauern hatte und deshalb das Haus ohne größeren Schaden blieb. Die Sirenentöne ertönten unterschiedlich:

Anhaltender Ton hieß: Voralarm!

An- und abschwellender Ton war: Vollalarm!

Dieser ging oft über in größere Lautstärke und hieß: akute Luftgefahr!

  Hatten die Flugzeuge unser Gebiet verlassen, kam wieder der anhaltende Ton. Wir konnten wieder ins Bett gehen, was aber keine Sicherheit dafür war, dass in der gleichen Nacht dasselbe noch zwei- oder dreimal passierte. Es war für uns und auch für alle anderen Menschen eine jahrelange bange Zeit, ob man aus den Kellergewölben nach der Entwarnung wieder in eine unzerstörte Wohnung hinein konnte. Trotz vieler Bombeneinschläge hatten wir immer den Schutz unseres Herrn Jesus, sodass wir die vereinzelt vorhandenen Schäden immer reparieren konnten.

 

 Obwohl der Inhaber der Firma, in welcher unser Vater arbeitete, es mehrfach erreicht hatte ihn vom Wehrdienst freizustellen, wurde er im Winter 1944 zum Volkssturm eingezogen. So musste Vater dann doch noch zum Militär. Er hatte aber das Glück auf den Rheinwiesen, im Frühjahr 1945, von den Amerikanern gefangen genommen zu werden. Nach Ende der Gefangenschaft machte sich Vater mit einem Kammeraden bei Nacht und Nebel auf den Weg Richtung Düsseldorf und beide kamen nach vielen Nachtwanderungen zu Fuß wohlbehalten, aber mager, endlich nach Hause.

 

  Bis zur offiziellen Beendigung des sogenannten "Deutschen Reiches" waren es dann nur noch wenige Tage. Gottlob war der Krieg am 8. Mai 1945 zu Ende!

 

Nachkriegszeit

  Seit dem 8. Mai 1945 war nun Frieden für die noch Lebenden, das hieß, keine Sirenen, keine Bombenabwürfe und keine feindlichen Flugzeuge die Leuchtkugeln abwarfen, damit die Ziele am Boden besser auszumachen waren und auch keine Verdunklung aller Fenster mehr.

 

  In den Sommermonaten  des Jahres 1945 begann die Zeit der Lebensmittelkarten. Es ging ein Aufatmen durch die Bevölkerung, den zerstörten Städten und Ortschaften musste nun alle Aufmerksamkeit und Kraft gewidmet werden. Dazu hätten die Menschen viele Nahrungsmittel gebraucht, die aber nicht vorhanden waren. Im Gegenteil, die Stadtverwaltung gab weiter die Lebensmittelkarten aus, obwohl die Geschäfte wenige Vorräte besaßen und auch kaum Lieferungen erhielten. Daher bildeten sich täglich vor allen Geschäften lange Menschenschlangen, die geduldig warteten, dass sie auch noch etwas mit heim nehmen konnten. Immer öfter war es aber so, dass nach der Hälfte der Menschenschlange bereits die Vorräte ausverkauft waren, obwohl jeder nur die Menge bekommen konnte, die auf den Kartenabschnitten mit den Namen der Handelware aufgedruckt war.

Lebensmittelmarken
Lebensmittelmarken

  Dazu meldete sich bald der Winter an. Wie sollte es weitergehen? Bis zum Herbst halfen uns die Erzeugnisse aus dem Garten. Selbst an Fleisch mangelte es uns nicht, da Vater auch Federvieh und Kaninchen züchtete. Auch Samen aller Art gab es noch zu kaufen, also blieb nur, Abwarten bis der Garten etwas brachte oder die Geschäfte wieder Vorrat bekommen würden.

Die Puten der Jacobs
Die Puten der Jacobs

Vater

  Doch Schnee und Frost machten sich schnell breit. So war es gut, dass Vater bei seiner alten Firma gleich wieder arbeiten konnte. Sein Chef brachte ihn auf die Idee, Hamsterfahrten zu Landwirten in typisch landwirtschaftliche Gegenden zu unternehmen. Auch Landwirte brauchen neues Werkzeug und geben dafür den Stadtmenschen die dringend benötigten Lebensmittel. Vaters Chef wollte ihm die Werkzeuge billig überlassen und dafür einen kleinen Anteil der Lebensmittel haben. Vater sagte zu, denn es war ein guter Chef.

Karl Jacobs
Karl Jacobs

  Voll Freude fuhr er mit seinem Fahrrad heim und erzählte Mutti davon. Sie war anfangs gar nicht begeistert, denn sie war (was ich bis dahin noch nicht wusste) noch einmal schwanger geworden. Aber die Aussicht auf bessere Nahrung war zu verlockend, sodass Vater mit unserem Nachbarn, der auch ähnliches überlegt hatte, schon am nächsten Tag in einem Bummelzug Richtung Westfalen saßen oder standen.

  Drei Tage später waren beide wieder da, brachten Mehl, Eier, ein wenig Speck und Brot mit. Diese Fahrten gingen noch einige Monate und wir konnten bei guter Einteilung längere Zeit davon leben.


Hungerzeiten

  Wir waren froh, dass unsere Besatzungsmacht, die Amerikaner, uns weitestgehend in Ruhe ließen und auch nach einigen Monaten eine deutsche Verwaltung für die einzelnen Ämter bestimmten. Dazu gehörten die betreffenden Wirtschaftsämter, wie Verwaltung und Ausgabe der Bezugs- und Berechtigungsscheine.

  Um diese zu erhalten war es notwendig, bereits in aller Frühe vor der Türe zu stehen, um einen Bezugsschein für ein paar Schuhe, ein Kleid, einen Mantel oder Kindersachen zu bekommen. Dabei war es fast ein Wunder, wenn die Geschäfte das eine oder andere uns tatsächlich verkaufen konnten.

  1946 war auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln auf dem Tiefstand angekommen. Unser Garten war zugefroren, die Hühnerschar verlor ihre Federn und die Tiere legten kaum noch Eier.   

  Irgendwie musste es aber weitergehen, zumal unsere Mutti nun sichtbar schwanger war. Das tägliche Schlangestehen fiel ihr sehr schwer, da war es meine Aufgabe ihr zu helfen wo ich konnte. Meine Schulpflichten musste ich aber einhalten und übernahm deshalb nur nachmittags einen Teil der Hausarbeiten.

  In diesen kargen Monaten machte sich der Schwarzmarkt breit, wo man Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände teuer erstehen konnte. Von der Polizei durfte man sich nicht erwischen lassen, sonst wären Verhaftungen erfolgt. Leider hatten wir nicht solche hohen Summen an Bargeld, dass wir uns dort hätten eindecken können. Also blieb uns als letzte Rettung die Fahrten zu den verschiedenen Landwirten, die Vater nun allein unternehmen musste.

  Schlecht und recht vergingen die nächsten Wochen und Monate. Im April 46 bekam ich mein Abschlusszeugnis und es war sehr zufriedenstellend ausgefallen.

  Am 13. Mai 46 hatte Mutti ihre Niederkunft, bekam zwei gesunde süße Mädchen, aber wir wussten schon kurz vorher, dass es zwei Kinder werden sollten.

Helga, Ursula, Doris und Erika
Helga, Ursula, Doris und Erika

Nun konnte ich ihr endlich den ganzen Tag zur Seite stehen, denn ich durfte mein sogenanntes „Pflichtjahr“ wegen der neugeborenen Zwillinge daheim absolvieren, während meine Mitschülerinnen dieses in fremden Haushalten ableisten mussten.

  Die gleichzeitig entlassenen männlichen Schüler mussten ein „Werksjahr“ ableisten bei verschiedenen Unternehmen die noch produktionsfähig waren.

   Da unsere Mutti nach einiger Zeit wieder wohlauf war, beschlossen wir, dass nun ich mitfahren sollte zu den Hamsterfahrten.

Weitere Beschaffungs-Bemühungen

   Da traf es sich gut, dass ich daheim mein Pflichtjahr ableisten durfte, so konnte ich mitfahren bei den immer noch notwendigen Hamsterfahrten. Dabei waren wir ausschließlich auf die sogenannten „Bummelzüge“ angewiesen, die aber nach wie vor immer überfüllt waren. So gut es ging drängten wir uns zwischen die Menschen. Nach und nach stiegen einige aus, die auch darauf hofften, bei den umliegenden Höfen etwas Essbares bekommen zu können.

 

  Wir fuhren noch einige Stationen weiter, weil dort die Höfe lagen die Vater schon öfter aufgesucht hatte. Es war Sommer und von der Bahnstation mussten wir noch einige Kilometer zu Fuß gehen, bis der Hof endlich in Sicht war. Die Bauernfamilie staunte, Vater mit seiner Tochter zu sehen. Die Tauschverhandlungen gingen zwar schleppend voran, aber am Ende war jeder zufrieden. Nur eine Anstrengung blieb für uns beide noch übrig. Mittels einer alten Ölmühle mussten wir abwechselnd den uns übergebenen Raps, zu dem begehrten Öl mahlen. Da um diese späte Stunde kein Zug mehr zu erreichen gewesen wäre, konnten wir im Stall auf Strohmatten schlafen. Leider waren nicht nur Rindviecher im Stall, sondern auch eine Horde Stechmücken, die besonders mich ausersehen hatten.

   Daheim fiel Mutti fast in Ohnmacht, weil ich so fremd aussah. Daher war sie der Meinung, ich solle nicht mehr mitfahren, aber das änderte sich wieder.

   Selbst im Winter 1947 hatten wir Glück, dass wir mit allen Lebensmitteln heimfahren konnten, denn manches Mal gab es Kontrollen, die den Leuten alles wieder abnahmen.   

   Anfang April 1947 trat ich meine Lehrstelle bei einem Lebensmittelgroßkonzern als Verkäuferin an. Mutti war das ganz recht, denn so konnte ich alle Lebensmittel heim tragen und sie konnte bei den Kindern bleiben und brauchte sich nicht in irgendeine Schlange zu stellen. Es gab weiterhin alles nur auf Marken, diese mussten vom Verkaufspersonal sorgfältig gesammelt werden, um sie am Abend auf große Bogen aufzukleben, damit diese am Wochenende von einem Kontrolleur abgeholt wurden, um alles zur Zentrale zu bringen.

   Ganz allmählich wurde die Versorgung etwas besser, nur die Entlohnung der Beschäftigten blieb gering. Im ersten Lehrjahr erhielt ich 25,– Reichsmark, im Zweiten 35. Wie hoch das Gehalt unserer Chefin war, blieb ein Geheimnis.

   Mit dem 24. Juni 1948 erlebten wir die Währungsumstellung auf die Deutsche Mark. Für jede Person in den Familien waren 40 Reichsmark abzugeben, dafür bekamen wir 40 Deutsche Mark und mit der Einführung des neuen Geldes waren wie hingezaubert, alle Schaufenster über Nacht gefüllt mit den schönsten Waren aller Art. Alle fassten sich an den Kopf und konnten die Veränderung gar nicht fassen.

   Nun hieß es arbeiten, arbeiten, arbeiten, weil ja auch Löhne und Gehälter in DM bezahlt wurden. Die aber mit denen in der heutigen Höhe nicht im entferntesten vergleichbar waren. Städte und Gemeinden konnten nun auch an den Aufbau der Gebäude herangehen.

 

Die deutsche Reichsmark
Die deutsche Reichsmark
Die deutsche Mark
Die deutsche Mark

 Arbeitsleben

  Meine dreijährige kaufmännische Lehrzeit absolvierte ich in einer großen Konsumgenossenschaft und bekam ein gutes Abschlusszeugnis. Schon während meiner ganzen Lehrzeit besuchte ich Abendkurse, um Stenographie, Maschinenschreiben und Buchhaltung zu lernen.

   Zum Abschluss erhielt ich die entsprechenden Zertifikate, mit denen ich mich bei verschiedenen Industriefirmen bewerben konnte. Schon bald kamen Angebote von einigen Firmen und ich entschied mich für eine Spedition in der Stadt, die eine zweite Buchhalterin suchte. Aufgrund meiner guten Zeugnisse wurde ich auch eingestellt und durfte zunächst die Telefonzentrale bedienen, um den Ablauf der Dinge kennenzulernen.Später würde ich dann, wenn der Buchhalter in Rente ging, seinen Posten übernehmen. Gleichzeitig sollte ich aber den Schriftverkehr führen, weil ich sowohl Steno, als auch Maschineschreiben konnte. Hier betrug das Monatsgehalt 100 Deutsche Mark.

  Mit dem ersten Buchhalter, der bald aus Altersgründen aufhören wollte, verstand ich mich gut. Ich dachte also seinen Posten übernehmen zu können. Mit den männlichen Mitarbeitern verstand ich mich gut und sie akzeptierten mich. Auch die Arbeit gefiel mir, es hätte so weiter gehen können, doch da ich das einzige weibliche Wesen in diesem Betrieb war, musste ich im Laufe der Jahre viele Anzüglichkeiten abwehren, sodass mir irgenwann die Arbeitslust verleidet wurde.

  Unser Prokurist, ein stattlicher Mann, im Grunde genommen meinTyp, ...aber ich war schüchtern. Aufgrund seiner Hartnäckigkeit, die er wochenlang auf mich ausübte, bin ich dann doch mal in seinem VW mitgefahren, da ich auch neugierig war, was er mir sagen würde. Das Ende vom Lied war, dass er mir meine Unschuld nahm, von der ich damals nicht einmal wusste, dass es sie gab.

  Ich glaube heute, dass unter all diesen lieben Kolegen gewettet wurde, wann er mich rumkriegt. Das ganze hatte zur Folge, ich wurde sofort entlassen, allerdings mit einem hervorragenden Zeugnis, sodass ich einige Tage später bereits eine neue Aufgabe in einem großen Metallbetrieb antreten konnte.

 

  Später bewarb ich mich erneut und bekam eine Stelle als Sekretärin des Einkaufsleiters, in einem Betrieb der Telefonzellen für die Post herstellte.  

 

  1954 lernte ich dann meinen Mann Willi kennen.

Helga und Willi Kaufmann mit Erika Jacobs
Helga und Willi Kaufmann mit Erika Jacobs

  1956 heirateten wir und zogen zunächst in eine kleine möblierte Wohnung und suchten intensiv nach einer eigenen. Nach ca. einem Jahr bot mir meine Firma eine Werkswohnung an, die ganz in der Nähe meiner Arbeitsstelle lag. Selbstverständlich sagte ich sofort zu.

   Mein Mann bekam eine Stelle als Werkzeugmacher bei einer Firma die ebenfalls zu Fuß zu erreichen war. Wir hätten also glücklich und zufrieden leben können, wenn dieser Mann weniger eifersüchtig gewesen wäre.

   Ich konnte versichern was ich wollte, seine Ansicht blieb, ich gehe fremd! Aus lauter Frust meldete ich mich für die Auto-Fahrprüfung an und auch das war ihm nicht recht, denn er hatte keinen Führerschein. Nach meiner bestandenen Prüfung kauften wir einen gebrauchten KÄFER. Nun konnten wir unabhängig von städtischen Verkehrsmitteln unsere beiden Elternhäuser öfter besuchen.

 

Eheleben

   Da wir auch nach ca. 5-jähriger Ehe immer noch keine Kinder hatten, konsultierte ich unsere Ärztin die mich schon als Kind behandelte.

   Deren Diagnose war: "Du bist gesund, schicke deinen Mann zum Arzt."

   Sein Kommentar war: "An mir kann es nicht liegen!" Hintragen konnte ich ihn nicht!!!

   Die Jahre gingen so weiter und jedes Jahr im Sommer fuhren wir in den Urlaub, meistens in die Berge, ohne jedoch in dieser Angelegenheit weiter zu kommen. Denn in den 60er Jahren gab es keine Unterhaltungen über körperliche Befindlichkeiten beim Zusammenleben von Eheleuten und ein Oswald Kolle ( deutschstämmiger Journalist, Autor und Filmproduzent, der insbesondere im deutschsprachigen Raum durch seine Filme über die sexuelle Aufklärung bekannt wurde) war noch nicht auf dem Büchermarkt.

   1964 traten bei meinem Mann einige Krankheiten auf, die von unserem Arzt nicht eindeutig diagnostiziert werden konnten. Inzwischen ließ seine Sehkraft nach, einhergehend mit seiner Arbeitsunlust.

   Nach ca. 6 Monaten Krankheit entdeckte ich seinen erhöhten Alkoholverbrauch. Eines Abends bekam er Blinddarmentzündung und wurde sofort in die Klinik gebracht.  

   Nach der Operation und einer weiteren Woche konnte man nur noch sein Ableben feststellen und in seinem Totenschein wurden fünf Todesursachen aufgeführt.

 

Wittwe mit Zukunft

   Nun war ich eine Witwe, doch erfreulicherweise hatte ich zwei Familien die hinter mir standen.

   Nach einiger Zeit wechselte ich die Firma und auch die Wohnung und zog in ein Dorf in die Nähe von Düsseldorf. Hier bekam ich noch mehr technische Kenntnisse und blieb einige Jahre dort.

   Trotz allem ließ mich die Vorstellung nicht los, dass ich doch gern nach Bayern gehen wollte. Eines Tages nahm ich Urlaub, nahm meine sämtlichen Zeugnisse und fuhr nach München. Dort stellte ich mich bei einigen Firmen in der Personal-Abteilung vor und entschied mich für die Stelle einer Sachbearbeiterin bei Siemens.

 

   Es zahlte sich aus, dass ich bereits Englischkurse absolviert hatte. Nun belegte ich sofort einen weiteren mit Korrespondenz-Englisch. Zum weiteren Glück ergab sich, dass ganz in der Nähe eine kleine Wohnung zu mieten war, die einem Kollegen gehörte. Nur wenige Möbel meiner Düsseldorfer Wohnung waren noch verfügbar, aber große Neuanschaffungen waren nicht notwendig.

   In diesem neuen Umfeld arbeitete ich gern, auch die Kolleginnen waren akzeptabel, obwohl ich ansonsten wenig Bekanntschaften machte.

   Inzwischen war das Jahr 1971 herangekommen. Im Oktober wurde ich mit meinem Auto in einen Unfall verwickelt, an dem ich aber absolut keine Schuld trug.

   Leider war das Unfallopfer eine 80-jährige kleine Frau, welche die Ampel nicht beachtet hatte und auch eine Woche später daran verstarb. Da mein damaliger Chef überhaupt kein Verständnis hatte für meine Gemütsverfassung, nahm ich meinen ganzen noch ausstehenden Urlaub und kündigte fristgemäß.

   Wie sollte es weitergehen?

 

Schach schlägt Skat
   Mehrere Stellenanzeigen wurden meine tägliche Beschäftigung. Ich fand auch bald ein Inserat was mich interessierte: Suche Mietnachfolgerin für Cafe-Stube in Baden-Württemberg, möglichst sofort!

   Warum nicht?! Kochen und backen konnte ich ja und das Einteilen und Planen von Geldmitteln beherrschte ich ebenfalls. Also meldete ich mich unter der angegebenen Telefonnummer. Für den nächsten Tag vereinbarten wir ein Treffen am Ort.

   Die bisherige Mieterin gab das Geschäft auf, weil sie in Kürze heiraten wollte. Mit ihren und den Bedingungen des Hauseigentümers war ich einverstanden, konnte daher ohne Übergang den Betrieb weiterführen, ohne vorher schließen zu müssen.

   Ein Wermutstropfen war allerdings vorhanden, das Haus war für die Straßenneugestaltung des Ortes im Laufe der Jahre zu hinderlich geworden, sodass die Festlegung des Abrisstermins in den nächsten Jahren zu erwarten war.

   Ein solcher Termin beunruhigte mich nicht weiter, vielleicht hatte ich dort einige Jahre mein Auskommen. Ich kochte Eintöpfe jeglicher Art, holte Torten und Kuchen aus der Konditorei im Nachbarort und verbannte die Skatspieler aus dem Cafe, die den übrigen Gästen wegen der Kraftausdrücke auf die Nerven gingen.

   Die Kaffeemaschine war noch in Ordnung und die Küche groß genug für alle Tätigkeiten. Ab 10:00 Uhr vormittags kamen die Schwesternschülerinnen, ab mittags die Gäste, welche zu Besuch waren, wegen der REHA-Patienten in diesem Kurort.

   Weil keine Skatspiele mehr stattfinden durften, kaufte ich drei Schachspiele und setzte für die Gewinner Preise aus. So war die notwendige Ruhe wieder hergestellt.

   Obwohl ich auch Bier und wenige Sorten Alkohol anbieten konnte, gab es in der ganzen Zeit keine Randale oder andere unangenehme Ereignisse.

   Es ging so weiter, bis Anfang Mai 1974, als ich den Bescheid der Stadtverwaltung erhielt, dass ab 1.Juli mit dem Hausabriss begonnen würde und bis spätestens dahin alle Räumlichkeiten freizumachen seien.

   Meine 2-Zi-Wohnung im Nachbarort betraf das nicht, sie war privat gemietet und ich hätte dort bleiben können.

   Die Leitung der Bierbrauerei bot mir sofort ein anderes Objekt an, aber nach einer Besichtigung stellte ich fest, dass dieses Haus in einem tiefen Tal lag und in den Wintermonaten gewiss beschwerlich zu erreichen war.

 Also Kommando zurück, ab nach München!

In München auf Jobsuche
  Nun hieß es auf Arbeitssuche gehen! Ich muss zugeben, damals hatte ich noch keine engere Beziehung zum Glauben an Jesus Christus. Selbstverständlich waren meine Schwestern und ich christlich erzogen worden, doch irgendetwas fehlte! Unsere Eltern lebten zwar in der Gewissheit der göttlichen Allmacht, konnten diese aber nicht recht in Worte fassen. Trotzdem waren sie davon überzeugt, dass nichts ohne den Willen Gottes geschehen kann und erwarteten daher von ihren vier Kindern, dass der Inhalt der Zehn Gebote unsere Lebensrichtschnur sein müsse.

   Meine Schwestern und ich haben unsere Eltern in dieser Hinsicht während ihres und unseren ganzen Lebens auch nie enttäuscht.

   Seit Sommer 1974 war ich nun wieder in Bayern. Zunächst wandte ich mich an eine Verleih-Firma für Arbeitskräfte, mitten in München. Nach einem kurzen Vorstellungsgespräch, mit Vorlage meiner Zeugnisse, arbeitete ich am nächsten Tag bereits bei einem Verlag als Lektorin. Das Gehalt zahlte die Verleih-Firma an mich. Diese stellte dann eine Rechnung für meine dort geleisteten Arbeitsstunden an den Kunden. Sobald diese Leihstunden abgeleistet waren, erhielt ein anderer Kunde die angeforderte Leihkraft, bis auch diese Arbeit erledigt war.

   Nachdem ich verschiedene Branchen durchlaufen hatte, wurde ich in der Münchner Zentrale beschäftigt und durfte nun selbst Arbeitskräfte vermitteln. Diese Tätigkeit gefiel mir auch sehr gut und sie dauerte einige Zeit an, bis eine Anfrage von einer Münchner Firma einging, die eine Sachbearbeiterin für eine Technische Abteilung suchten, nicht als Leihkraft, sondern als Festangestellte. Sofort war mein Interesse geweckt und ich vereinbarte einen Termin.

   Es handelte sich um die Firma TELENORMA, die es heute leider nicht mehr gibt. Diese wurde aber in den Folgejahren von der Fa. Bosch übernommen. Dort war ich Alleinsekretärin der Technischen Leitung. Da ich auch technisches Verständnis hatte, arbeitete ich dort einige Jahre in der Herzog-Rudolf-Straße, mitten in der Stadt München. Nach einiger Zeit wurden die Räume für uns zu klein, wir siedelten um nach Freimann in ein eigenes Gebäude. Ich bekam den Posten als Chefsekretärin des kaufmännischen Leiters und blieb da so lange, bis mein Chef in die Frankfurter Zentrale versetzt wurde.

 

  Inzwischen waren nun einige Jahre vergangen und auch bei uns machten sich die Computer breit. Nun hatte ich die Aufgabe, die Arbeitsabläufe des Technischen Personals zu kontrollieren und zu dokumentieren. Gleichzeitig mit den Bildschirmen wurden auch Großraumbüros eingerichtet, was mir aber gar nicht gefiel. Es war daher gut, dass mein Rentenalter in greifbare Nähe rückte, sodass ich den immer stärker werdenden Rauchwolken der anderen Mitarbeiter in absehbarer Zeit entfliehen konnte.

 

Mutti und Vati

  Da ich auf Drängen unserer Mutti den Eltern eine Wohnung in München besorgt hatte, wohnten sie noch 13 Jahre in Schwabing und hatten wenigstens einige Kinder und Kindeskinder in Reichweite. Unsere Eltern waren 60 Jahre verheiratet und exakt eine Woche nach dieser Feier ist Mutti verstorben.

   Unser Vater, inzwischen 85 Jahre alt, war am Boden zerstört, denn seine Lebensliebe war von ihm gegangen. Wir vier Töchter nahmen ihn dann abwechselnd bei uns zeitweise auf, aber er war bei jedem von uns immer ruhelos. Wir sahen keine andere Möglichkeit mehr, als einen Platz im Altersheim für ihn zu suchen. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit gelang uns das auch und dort ging es ihm eine Zeitlang besser, da er dort andere männliche Bewohner in ähnlicher Lage antraf.   

  Trotzdem fühlte er sich allein und verweigerte bald jede Nahrungsaufnahme. Die Ärzte sorgten für künstliche Ernährung, aber auch das konnte ihn nach kurzer Zeit nicht mehr zum Aufwachen bringen und er ist dann in der Nacht nach meinem letzten Besuch friedlich eingeschlafen.

 

 Rentnerin mit Ambitionen

  Nachdem ich nun anfing, mein Rentendasein etwas zu genießen, wurde mir aber bald ziemlich langweilig, ich musste also wieder eine Beschäftigung haben. Verschiedene Tageszeitungen wurden bald meine Lektüre. Die Anzeigen, die eine freiberufliche Tätigkeit erkennen ließen, interessierten mich besonders und ich fand mehrere, die Mitarbeiter für den Kurierdienst mit eigenem PKW suchten. Ich entschied mich für ein Unternehmen, welches in der Innenstadt von München sein Büro unterhielt. An einem Tag fand das Vorstellungsgespräch statt, am nächsten Tag, nachdem der Vertrag unterschrieben wurde, übernahm ich die ersten Aufträge zur Abwicklung bei Kunden innerhalb des Stadtgebietes. In der Folgezeit erweiterten sich die Fahrten zu Außenbezirken und teilweise sogar ins nahe Ausland. Auf diese Weise konnte ich die Leasingraten für meinen PKW ohne Schwierigkeiten begleichen, damit der Wagen komplett in meinen Besitz überging.

Harry

  In meinem Bericht fehlen ca. neun Jahre, die ich zusammen mit meinem Partner gelebt habe, der zwar gebürtiger Berliner war, aber in München seine feste Anstellung bei der Firma TEXAS INSTRUMENTS hatte.

  Er war noch vor dem Bau der Berliner Mauer in den westlichen Teil von Deutschland geflohen, um bei der TI eine Anstellung zu finden, was auch gelang. Bevor wir uns kennenlernten gab die Firma für ihre Angestellten die Empfehlung heraus, dass es erwünscht wäre, wenn der Mitarbeiterstab vollzählig in die USA übersiedeln würde.
  Dazu hatte Edgar-Harry aber keine Lust und so blieb er in München.

  In diesen Zeiten der Arbeitssuche lernten wir uns kennen. Erschwerend bei seiner Arbeitssuche kam hinzu, dass er eine dunklere Hautfarbe besaß, von der manche Chefs glaubten, Harry entstamme einem Negerclan.

 

  Nach der Beendigung der täglichen Arbeitssuche traf sich Harry an manchen Abenden mit Bekannten, die dann von seiner Suche erfuhren. Einer der Männer machte dann den Vorschlag, dass Harry in seiner Firma als Zusteller für den Raum München arbeiten sollte, um Waren von einer Firma zur anderen zu bringen. Hiermit war er einverstanden, da er ja noch über sein Auto verfügte.

 

  Mein Rentenalter war auch in greifbare Nähe gerückt, sodass ich ebenfalls bei dieser Abwicklung (Kurierdienstfahrten) mitmachen konnte, um die Anzahl der Fahrten erhöhen zu können.

  Inzwischen ging es uns dabei so gut , dass wir an richtge Urlaube denken konnten...

 

  Wir waren auf dem Eifelturm, wir haben das Abbild der kleinen Meerjungfrau auf dem Stein in Dänemark gestreichelt. Wir waren auch in Jamaika und haben die Umgebung angeschaut. Wir standen auf der berühmten spanischen Treppe in Venedig und wir waren aber auch oft in Ostdeutschland (Berlin), um Harrys dort lebende Verwandte zu besuchen.

  Von seinem Chef bekam Harry immer mehr verantwortungsvolle Aufgaben, zumeist in Italien.
Leider bemerkte er nach einiger Zeit eine Veränderung an seiner Hand, die sein Arzt sofort als Krebs erkannte, was er aber nicht wahrhaben wollte. Harrs Chef verlangte ein ärztliches Gutachten. Nun begann eine schwere Zeit für uns und es dauerte dann nur eine kurze Zeit, da hatte der Krebs bereits den ganzen Körper befallen. Harr musste gottlob keine allzulange Leidenszeit durchmachen, bevor er ging.

 

Dieter

  Bei einer Tanzveranstaltung lernte ich dann meinen Freund Dieter kennen. Obwohl er eigentlich ein schlimmes Bein hatte, ging er doch gelegentlich in Tanzlokale. Nach mehreren Monaten beschlossen wir dann, eine gemeinsame Wohnung zu mieten und diese fanden wir in Olching. Von dort aus fuhren wir dann gemeinsam die Kuriersendungen aus. Das war recht praktisch, da meine Kräfte für einige schwere Sendungen oft nicht ausreichten. Nachdem sich aber nach einiger Zeit der Zusammenarbeit eine Verschlechterung von Dieters Bein herausstellte, musste eine andere Entscheidung getroffen werden. Wir hörten von Bekannten, dass es in Slowenien, Österreichs Nachbarland, ein Thermalwasser gibt, welches für derartige Körperschäden die richtige Behandlung sein würde. Bei nächster Gelegenheit fuhren wir also dort hin, nachdem wir uns einen Campinganhänger zugelegt hatten, dessen Schlafplätze so angeordnet waren, dass diese in normaler Betthöhe benutzt werden konnten.

   Dort blieben wir ca. 3 Wochen, konnten erstaunt feststellen, dass die Thermen einen positiven Einfluss auf die Wunde hatten und entschlossen uns zum Kauf eines Holzhauses, welches auf dem Gelände des Campingplatzes stand. Nun fuhren wir jede zweite Woche im Jahr die Strecke München – Slowenien.

 

Umzug nach Slowenien

   Während der schneefreien Zeiten waren diese Fahrten kein Problem, obwohl wir auch während der dunkleren Monate dorthin fuhren. Inzwischen war es März geworden und wir hatten Bekanntschaften auf dem Camping gemacht. Bei einer solchen Begegnung, erfuhren wir, dass es im Ort ein Bauvorhaben gab, welches kurz vor der Vollendung stand und ab April des neuen Jahres Wohnungen an Senioren vermietet wurden. Wir vereinbarten einen Termin mit der Hausverwaltung, ließen uns die bereits eingerichteten Wohnungen zeigen und waren sehr angetan von der Ausstattung.   

   Nun blieb zu entscheiden, machen wir weiter wie bisher oder wagen wir einen neuen Schritt?

   Nach kurzer Bedenkzeit entschlossen wir uns zur Umsiedlung. Anfang April suchten wir einen Nachmieter, der auch das meiste der gesamten Einrichtung übernehmen wollte und konnten dann Mitte April den Umzugswagen für die noch mitzunehmenden Teile bestellen.

   So zogen wir am 23. April 1999 in die neue Behausung und fühlten uns dort sehr wohl. Wir lernten auch bald andere Bewohner des Ortes kennen, die einigermaßen die deutsche Sprache beherrschten, da sie in Österreich oder Deutschland gearbeitet hatten.

   Da Dieter ein großer Freund des Angelsports war, hatte er dazu Gelegenheit an einem See, der ca. 10 km entfernt lag. Früh um 06:00 Uhr brachte ich ihn mit dem Auto dorthin, holte ihn zum Essen gegen Mittag wieder ab. Nicht immer hatte er Anglerglück, aber meistens konnte ich mehrere Forellen einfrieren. In mehreren Supermärkten konnten wir die anderen Vorräte auffüllen, sodass wir ein sorgenfreies Dasein geführt haben.   

   Der für die Gegend zuständige Arzt wohnte im nächsten Ort und sprach auch sehr gut deutsch. Was wollten wir mehr?

 

 Erneuter Umzug

   Auf diese Weise verging fast genau ein Jahr, und wir standen schon wieder vor dem gleichen Problem, denn die Hausleitung teilte uns mit, dass die ursprüngliche Absicht, aus dem Gebäude ein Senioren-Wohnheim zu errichten, sich nicht verwirklichen ließe, da hierfür zu wenig Interessenten vorhanden waren.

   Es würde nunmehr umgepolt zu einem Hotel, was verständlicherweise auch eine Erhöhung der Mietbeträge bedeuten würde. Das hieß für uns eine neue Bleibe zu suchen oder die Rückkehr nach Deutschland ins Auge zu fassen. Die freundliche Dame vom Campingplatz bot an, uns bei der Suche nach einer Wohnung zu helfen und eine Anzeige in der Landessprache zu schalten.   

   Einige Besichtigungen erfolgten, jedoch die Angebote waren zu teuer oder entsprachen durchaus nicht unseren Vorstellungen. Ein letzter Versuch wurde noch unternommen, die freundliche Dame stellte sich als Dolmetscherin zur Verfügung und begleitete uns zum Besichtigungstermin.

 Es wurde angeboten, ein seit mehreren Jahren leer stehendes Haus aus Ziegeln. Schlafraum, Wohnzimmer, Küche, Bad, Trockenraum im Obergeschoss, kleine Terrasse, große Wiese, neben der Einfahrt und Stellplatz.

   Es war gar nicht notwendig Überlegungen anzustellen ob wir mieten wollten, denn der uns vorgelegte Mietvertrag wurde sofort unterschrieben. Zumal die verlangte Miete so akzeptabel war, dass wir versprechen konnten notwendige Verbesserungen auf unsere Kosten durchzuführen.

   In der gleichen Woche noch kauften wir die Möbel und lernten Einheimische kennen, die unsere Sprache beherrschten. Nachbarn halfen uns beim Einräumen und wir konnten bald wieder die Therme besuchen, da diese nur einige Kilometer entfernt war.

  Unser Haushalt war komplett. Wir ließen aber die Badewanne austauschen, weil sie sehr klein war.

   Manches Mal hatten wir, wenn Dieter vom Angeln heim kam, so viele Forellen, dass sie nicht alle in den Gefrierschrank passten. Unser Vermieter aß auch gern Fisch, war selbst aber Jäger, wir tauschten mit ihm Fisch gegen Wild.

 

  An meinem Auto hatte ich schon seit langem den Fisch auf der Kofferraumhaube. Eines Tages sprach uns ein junger Slowene darauf an und lud uns ein am Sonntag mit in die Gemeinde zu kommen. Mit meinen dürftigen Sprachkenntnissen versuchte ich ihm verständlich zu machen, dass wir Ausländer seien und den Predigten nicht folgen könnten, aber er blieb bei seiner Bitte.

   An diesem Tag wurde mir bewusst, dass ich aus Feigheit die ganze Zeit, in der wir im Ausland lebten, Gott in den Hintergrund geschoben hatte, statt ihm täglich dafür zu danken, dass es uns so gut ging.

   Gewiss haben wir gemeinsam Tischgebete und ich für mich Abendgebete gesprochen, aber die ganz enge Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus war mir abhanden gekommen.

   Auch habe ich es nicht geschafft mit meinem Partner über unsere Situation zu reden. Heute habe ich keine Erklärung mehr dafür.

 

  Nun lebten wir bereits vier Jahre dort, keiner von uns beiden war darauf gefasst in Kürze mit einem erneuten Ereignis konfrontiert zu werden.

   Nachdem Dieter sich seit einigen Wochen etwas unpässlich zeigte, holten wir ärztlichen Rat ein. Es stellte sich bei ihm ein außergewöhnlich hoher Zuckeranteil im Blut ein, den der Arzt mit Medikamenten behandeln wollte. Sein Rat, diese Diagnose in der Klinik bestätigen zu lassen, lehnte mein Partner ab, mit dem Bemerken, er habe keine Schmerzen und würde brav die Tabletten nehmen.

   Leider war aber nach einigen Wochen seine Uhr abgelaufen, er bekam am Frühstückstisch einen Schlaganfall und verstarb in der gleichen Sekunde mit 68 Jahren.

   Nun galt es für mich, wieder einen Entschluss zu fassen: Blieb ich, inzwischen 72 Jahre alt, für den Rest meines Lebens in diesem, zwar liebgewonnenem fremden Land oder trat ich den Rückzug nach Bayern an?

 

Zurück in die alte Heimat

  Einige Zeit ließ ich noch verstreichen, dann war ich sicher, denn alle Familien, mit denen ich verwandt bin, lebten in Deutschland. Meine Schwestern Ursula, Doris und Erika,(die Zwillinge), hatten alle Familie, mit drei, vier und zwei Kindern und diese hatten teilweise schon Enkelkinder.

 

  Im Sommer 2004 fuhr ich zu meiner langjährigen Freundin Roswitha nach Eching, wohnte einige Tage bei ihr und sie half mir bei der Wohnungssuche. Diese Suche ging besser aus als ich dachte, denn bereits nach einigen Versuchen erfuhren wir von einer freundlichen älteren Dame, dass ganz in der Nähe eine Wohnung frei würde, wegen Schwangerschaft.

   Deren Mietvertrag lief jedoch erst Ende Oktober 2004 aus, sodass mein Umzug erst danach stattfinden konnte.

   Nachdem am nächsten Tag sowohl Mietvertrag, Kautionszahlung und Vermittlungsgebühr erledigt waren, fuhr ich sehr erleichtert wieder zurück und begann, mich um die Abwicklung der erforderlichen Tätigkeiten für meine Umsiedlung zu kümmern.

   Meine sehr hilfsbereiten Nachbarn waren sehr traurig, dass ich wieder auszog, sie halfen mir aber die Wohnungseinrichtung zu verkaufen bis das Haus rechtzeitig leer war.

   Gleichzeitig musste ich versprechen, so oft es ging, zu einem Besuch zu kommen und dazu nicht allzu viel Zeit verstreichen zu lassen.

   Dies habe ich während der vergangenen 10 Jahre auch gehalten und hoffe, dass ich es auch nochmal wiederholen kann.

 

Hier und Heute

   Nun, fast im Jahre 2015, lebe ich seit mehr als 10 Jahren in Eching, davon die meisten Jahre in Günzenhausen.

 Durch die Tagespresse erfuhr ich schon bald, dass die FeG nun ihre feste Bleibe hier am Ort hat, während ich bis dahin nur die Telefonummer aus einem Hinweis an der Tür des Bürgerhauses entnehmen konnte. Leider hatte damals keiner meiner Anrufe einen Erfolg.

   Nun aber war ich sicher, ich werde Gemeinde-Mitglied. Im September 2010 ließ ich mich in Freising taufen. Meine Schwestern und engen Verwandten, die zwar in Bayern und Westdeutschland verstreut leben, sind ebenfalls Gemeindemitglieder.

   Wir sehen uns alle zwar nicht sehr oft, sind aber immer in telefonischer Verbindung. Wir besuchen uns auch sobald es zeitlich geht.

 

Meine Schwester Ursula hat 3 Kinder, ist 8 X Großmutter und 2 X Uroma

Meine Schwester Doris hat 2 Kinder, 1 x Großmutter

Meine Schwester Erika 4 Kinder , 9 x Großmutter

 

  Dass alle gesund sind, macht mich sehr froh und ich hoffe, dass ich mit dem Segen unseres Herrn Jesus noch Gelegenheit haben kann, einige Besuche zu machen.

Helga Kaufmann geborene Jacobs. Sie ist ein großes Vorbild für unsere Familie mit ihrer Liebe und ihrer Kraft.
Helga Kaufmann geborene Jacobs. Sie ist ein großes Vorbild für unsere Familie mit ihrer Liebe und ihrer Kraft.